Hanna Nitsch
06. Februar – 03. April 2010
Brüderchen und Schwesterchen
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Hanna Nitsch
Brüderchen und Schwesterchen 06. Februar - 03. April 2010
Wie zeigen sich die Kinder - Mädchen, gelegentlich auch Jungen - die Hanna Nitsch malt? Je intensiver der Betrachter diese Bilder erforscht, umso länger wird die Kette der sich ihm aufdrängenden Assoziationen, bis er schließlich in einen Irrgarten von sich widersprechenden, unheimlichen, verstörenden Vorstellungen eintaucht:
In sich versunkene Kinder, verschlossen, unnahbar; verletzlich und verängstigt, fragend. Aber auch jenseits der Unschuld – provozierend, durchblickend, drängend, kokett. Zwanghaft ausgestattet mit dem falschen Charme verführerischer Weiblichkeit. Misshandelt. Böse. Furienhaft. Auf der Suche nach Identität, imaginierend, spielerisch offen, eintauchend in den Dschungel einer Phantasiewelt.
Die Körper der Kinder sprengen den Bildrahmen, wirken vergrößert, drängen nach vorn, dem Betrachter entgegen. Er ist direkt mit den aufgerissenen Augen, dem ihn anstarrenden Blick konfrontiert. Selten sind die Kinder auf Augenhöhe. Sie schauen von oben herab oder von unten herauf. Die sichtbaren Körperteile sind kindlich fahl und blutleer. Farbe wird ambivalent mit unterschiedlichen Effekten eingesetzt, als Rötung der Haut wie bei einer Verletzung oder als aufreizende Schminke, die mit den verführerischen Attributen der Weiblichkeit spielt. Auch die Farbe in den changierenden Stoffen der Kleider deutet in diese Richtung. Bisweilen wird Farbe auch eingesetzt, um die schattenhaften Flecken des Körpers hervorzuheben, oder wirkt als eine Hülle, die den Körper modelliert und ihm eine starke physische Präsenz verleiht.
Hinter dem, was Kindern kulturell zugeschrieben wird, kommt auf diese Weise eine Vielfalt von sowohl freundlichen wie auch zerstörerischen, gleichsam polymorph-perversen (Freud) Möglichkeiten zum Ausdruck. Diese markieren immer auch Widerstände gegen die kulturelle Zurichtung. Das Individuum geht nicht in dem auf, was als Leitbild kultureller Identität durchgesetzt wird. Die nicht integrierten Reste erscheinen als Quelle schöpferischer Produktivität. Darin treffen sich die Kinder mit den Künstlern. Und warum nur die Kinder? Ihnen (und der Künstlerin, die sie porträtiert) ist noch verfügbar, wozu später der Zugang verloren geht. Handelt es sich vielleicht gar nicht um Kinder mit ihren spezifischen Charakteristika, die dargestellt werden, sondern eher um eigenschaftslose Projektionsflächen? Projektionsflächen, in die wir als Betrachter alle die phantasierten Möglichkeiten und dunklen Rückerinnerungen hineinlegen, die uns wie eine unfassbare Erscheinung anrühren.